Sonntag, 1. Juni 2008

Kommentar: "Auch dieses Jahr!"

Irgendwie haben wir es ja schon fast wieder vergessen:
Warschau im Mai 2006. Queere Busladungen aus Deutschland reisen zur Unterstützung der „Parada Rownoci“ (Parade der Gleichheit) in die polnische Hauptstadt, über hundert Prominente unterstützen die Aktion, Journalisten berichten. Ein Jahr zuvor ist die Demonstration noch verboten und angegriffen worden, dieses Mal wird ein unübersehbares Zeichen für Gleichberechtigung daraus – und ein Beweis europäischer Solidarität.
Die Organisatoren der Parade und die Unterstützungsaktion „Warschauer Pakt“ haben einiges bewegt. Schon im Jahr 2007 war die Demonstration nicht mehr von einem Verbot bedroht und die Polizei bemühte sich sichtlich um ausreichenden Schutz. Doch mit der Bedrohung schwand auch das öffentliche Interesse, zumindest in Deutschland. Wieder gab es zwar eine eingeschworene Gemeinschaft aus angereisten Unterstützern und wieder ging es darum, gemeinsam ein offenes Europa zu vertreten und einer konservativen Regierung mitsamt dem dazugehörigen Mob rechter Jugendorganisationen ein starkes „Europa = Tolerancja“ entgegenzusetzen. Doch daheim nahm kaum jemand Notiz.
„Warum auch?“ mag jetzt gefragt werden. Wo doch wieder eine große Parade daraus geworden ist und die polnischen Organisatoren Rückenwind und Kow-how aus dem Mai 2006 erfolgreich nutzen konnten. Das ist auch gut so. Und doch: Die Solidarität darf nicht nachlassen. Nach wie vor haben es Schwule und Lesben in Polen nicht leicht sich zu outen, gibt es Verfolgung und Übergriffe.
Die Parade der Gleichheit wird wohl auch diesmal friedlich verlaufen. Eine liberale Bügermeisterin und der neu gewählte Premier Donald Tusk sprechen für ein Ende der polnischen Betonpolitik. Trotzdem kann eine europäische Öffentlichkeit auch in diesem Jahr wieder zeigen, dass Intoleranz keinen Platz in einem gemeinsamen Europa hat. Es kommt darauf an, nicht nur den Erfolg der letzten Jahre feiern, sondern die Missstände wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stellen. Eine Aufgabe um die so manche west-europäischer Homo-Aufläufe die Warschauer Parade der Gleichheit beneiden können.

Hannes Richter

Keine Kommentare: